WARUM SIE ERDBEEREIS AUF WEIßEN RUNDEN TELLERN SERVIEREN SOLLTEN

Charles Spence erforscht, wie Farben, Formen und Klänge unser Geschmacksempfinden beeinflussen. Für die Erkenntnisse des Oxforder Experimentalpsychologen interessieren sich auch Spitzenköche.

Wie schmeckt ein Pfirsich? Banal könnte man sagen: süß, ein bisschen säuerlich. Glaubt man Charles Spence, dann liegt im Essen allerdings eine ganze Erlebniswelt – Essen wird zu einem komplexen Vorgang. Spence untersucht die Farbe, den fruchtigen Geruch von Pfirsichen. Er misst das pelzige Gefühl auf der Haut und der Zunge, forscht nach, wie genau das ist, mit den Zähnen ins Fruchtfleisch zu beißen. Er stellt Fragen wie: Wann isst ein Konsument – und wo? Isst er mit der Hand oder einer Gabel?

Charles Spence ist experimenteller Psychologe. Seit rund 20 Jahren forscht er zu der Frage, was Essen für den Konsumenten attraktiv macht. Isabel Metzger von Spiegel Online hat nachgefragt. Dabei kam heraus, dass der Geschmack aus seiner Sicht eine Nebenrolle spielt. Spences These: „Kulinarisches Vergnügen entsteht im Kopf, nicht im Mund.“

Runde Teller sind „süßer“

In seinem Buch „Gastrologik“ zeigt er: Der Kopf eines durchschnittlichen Konsumenten lässt sich leicht überlisten. So stellten Wissenschaftler fest, dass schon die Farbe und Form des Tellers das Geschmackserlebnis verändern können. Dasselbe Erdbeereis scheint auf weißen runden Tellern deutlich süßer und aromatischer als auf schwarzen eckigen. Die passen besser zur bitteren und kohlensäuerehaltigen Lebensmitteln.

Spence testet, warum Meeresrauschen eine Portion Fisch salziger macht. Tüftelt mit Besteckherstellern an der Frage, mit welcher Struktur und aus welchem Material Löffel beschaffen sein müssen, um Mousse au Chocolat noch cremiger erscheinen zu lassen. Und warum beim Gebrauch von Plastikgabeln selbst mehrere Michelin-Sterne den Braten nicht schmackhafter machen: „Wirkt zu billig.“

Sebastian Frank ist einer dieser Michelin-Köche. Im vergangenen Jahr erhielt der Küchenchef des Restaurants Horváth in Berlin Kreuzberg zwei Sterne. 2018 wurde er auf der „madridfusion“ für seine Gerichte aus Pflanzenextrakten zum besten Koch Europas gekürt. In seinem Restaurant serviert Frank Gerichte mit simplen Namen wie „Haschee“ und „Brot mit Butter“. Suppe aus stundenlang gekochtem Fondgemüse, serviert auf einem einfachen weißen Teller. Frank hält den Trend zum Gastronomieerlebnis für überzogen. „Viele Restaurants malen kunstvolle Kleckse mit Sauce auf den Teller“, sagt Frank. „Aber mir kann keiner erzählen, dass Essen mit so wenig Sauce gut schmeckt.“

Knusprige Chips schmecken frischer

Besonders Nahrungsmittelunternehmen interessieren sich für sogenannte multisensorische Geschmackswahrnehmung. Selbst fettige und zuckerhaltige Zutaten können durch ein paar Tricks auf den Verbraucher gesund wirken. 2008 bekam Spence den Ig-Nobelpreis – eine Art Anti-Nobelpreis – für seine Erkenntnis, dass Kartoffelchips umso frischer schmecken, je mehr sie beim Kauen knuspern. Kellogg’s wollte sich das Geräusch, das Cornflakes beim Übergießen mit Milch machen, sogar patentieren lassen.

Neben Nahrungsmittelherstellern interessieren sich aber auch immer mehr Gastronomen für die Küchenmagie. Etliche hochrangige Restaurants wollen ihre Methoden verfeinern, das Essen zum Rundumerlebnis zu machen. Im Sterne-Restaurant Fat Duck im englischen Bray etwa lässt Küchenchef Heston Blumenthal Schwaden von Moosdampf über dem Teller aufsteigen, wenn er sein „Gelee von Wachtel mit Kaiserhummercreme und Eichenmoos“ serviert.

Ferran Adrìas, weltweit bekannt für seine Molekularküche, verfestigt lieber: In seinem Restaurant elBulli kommt die Margarita als Eiswürfel auf den Tisch. Zu Essen gibt es weiße Parmesan-Marshmallows, serviert auf einem reflektierenden Metallteller.

Gerade mit der Ablenkung vom Essen spielen viele Food Designer bewusst. Spence schätzt, dass selbst das Essen im Flugzeug oder in Krankenhäusern in Zukunft zum Erlebnis werden könnte. Durch niedrigen Luftdruck und geringe Luftfeuchtigkeit verlieren Speisen Geschmack und Aroma. Spence rät deshalb dazu, Attribute wie kross und knusprig gezielt durch Zutaten und Verpackungsgeräusche zu steigern: „Sesam auf dem Salat ist billiger als ein Spitzenkoch, aber genauso effektiv.“

Für den Restaurantbetrieb ist ein Limit erreicht. Durchschnittsverbraucher ließen sich durch Eventisierung von Essen leichter täuschen. Emotionalität aber kann man nicht künstlich produzieren. Am Ende schmeckt es immer noch am besten in Muttis Hinterhof, wenn man einen von drei Tischen ergattert hat.